Stellungnahme: Vertrauen und Verlässlichkeit für die Arbeit mit jungen Menschen

Stellungnahme des Forum Jugendarbeit Sachsen zu aktuellen Haushaltsdiskussionen in Sachsen

29.11.2024

Sehr geehrte Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der 13 sächsischen Gebietskörperschaften,

als Zusammenschluss landesweit agierender Organisationen der Kinder- und Jugendarbeit schützen und vertreten wir, das Forum Jugendarbeit, die Interessen und Bedarfe von Kindern und Jugendlichen in Sachsen, die durch die vielfältigen Angebote der freien, örtlichen Träger der Kinder- und Jugendarbeit überhaupt erst wahrgenommen und umgesetzt werden.

Die unklare Haushaltssituation hat sowohl in den sächsischen Kommunen und Landkreisen als auch auf Landesebene in Politik und Verwaltung sowie bei zivilgesellschaftlichen Akteuren zu großer Unruhe und erheblicher Unsicherheit geführt. Daher begrüßen wir ausdrücklich, die dringend notwendige und vom „Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ (SMS) mit dem Schreiben vom 26.11.2024 veröffentlichte Entscheidung die Auszahlung der finanziellen Mittel über die FRL Jugendpauschale für die erste Jahreshälfte 2025 in voller Höhe durch Verpflichtungsermächtigungen zuzusichern.

Gerade mit Blick auf die aktuellen politischen, gesellschaftlichen und finanziellen Herausforderungen sind die Träger in den Kommunen und auf Landesebene in die Lage zu versetzen, die gesetzlich verbrieften Leistungen im Sinne der Subsidiarität erbringen und somit den Bedürfnissen und Lebenslagen junger Menschen umfassend Rechnung tragen zu können. Mit dem Schreiben vom 26.11.2024 ist die dafür notwendige Handlungs- und Arbeitsfähigkeit vieler kommunaler Träger gesichert.

Trotz der aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf eine vorläufige Haushaltsführung und der bereits erwähnten finanziellen Untersetzung der FRL Jugendpauschale bleiben weiterhin wichtige Fragen zur Gestaltung von Übergangslösungen im kommenden Haushaltsjahr offen.

Daher haben wir an Herrn Finanzminister Vorjohann, Herrn Landtagspräsident Dierks sowie Herrn Ministerpräsident Kretschmer ein Schreiben verfasst, dass wir Ihnen nachfolgend zur Kenntnis geben wollen.

Wir bitten Sie, in diesen bewegten und unsicheren Zeiten die freien, örtlichen Träger in ihrem Handeln und Wirken zum Wohle der sächsischen Kinder, Jugendlichen und Familien zu unterstützen und diese in vertrauensvoller Zusammenarbeit einzubinden.

Mit unseren Erfahrungen und unserer fachlichen Expertise stehen wir, das Forum Jugendarbeit, jederzeit gerne für Sie als Ansprechpartner zur Verfügung!

Zuversicht braucht Vertrauen!

Im 17. Kinder- und Jugendbericht des Bundes wird festgehalten: „Die heutige junge Generation ist die diverseste, die es je gab. Allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemein ist jedoch das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit – das ist in der aktuellen dynamischen und unsicheren Zeit besonders wichtig. Die Kernbotschaft des Berichts lautet entsprechend: Zuversicht braucht Vertrauen!“[1].  

Unter anderem Einrichtungen und Angebote der Kinder- und Jugendarbeit geben Kindern und Jugendlichen diese beschriebene Sicherheit und Orientierung. Junge Menschen brauchen  bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben verlässliche und kontinuierliche Begleitung, die auf Vertrauen und selbstbestimmter Beziehungsgestaltung beruht.

Doch wie viel Sicherheit können Akteure der sozialen Arbeit vermitteln, wenn die Zukunft der eigenen Arbeit unsicher ist? Wie viel Zuversicht bleibt, wenn grundlegende Angebote der Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Existenz bedroht sind? Wie oft kann das Vertrauen junger Menschen in das Sozial-, aber zunehmend auch in das politische System noch erschüttert werden, bevor sie sich ab- und rechtspopulistischen oder extremistischen Strömungen zuwenden?

Weil es ums Ganze geht!

Dieser Slogan ist 2025 eigentlich dem 18. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag in Leipzig vorbehalten[2], an dem sich auch zahlreiche sächsische Vereine und Institutionen beteiligen werden. Doch statt gemeinsam die Zukunft der Jugendhilfe zu diskutieren und zu repräsentieren, werfen Kürzungen und die mangelnde Planbarkeit der Angebote die Frage auf, welche Träger dieses „Leuchtturm-Event“ überhaupt noch erleben werden. Somit geht es in mehrfacher Hinsicht ums Ganze: Für die Träger um ihre Existenz, für Angestellte um ihren Arbeitsplatz, für junge Menschen um Zuversicht. Nötig ist ein eindeutiges Bekenntnis der Politik zu heranwachsenden Generationen, deren Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven.

Die Situation vor Ort

Zahlreiche Träger stehen zum Beginn des kommenden Jahres vor teils erheblichen Liquiditätsproblemen, wenn Fördermittel für gesetzlich verpflichtende Leistungen nach z. B. §§ 11-14 SGB VIII nicht beschieden oder ausgereicht werden. Die dadurch entstehenden Finanzierungslücken in den ersten Monaten des Jahres 2025 können von freien Trägern in der Kinder- und Jugendarbeit nicht überbrückt werden. Die Gefahr von Zahlungsrückständen und -unfähigkeiten, die zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen oder gar Insolvenzen führen werden, ist greifbar.

Die Folgen

Die entstehenden Schäden ziehen in vielen Fällen langfristige oder sogar dauerhafte Folgen mit sich. Fachkräfte verlassen die betroffenen Arbeitsfelder aufgrund der unsicheren Lage.

Standorte und Infrastruktur gehen dauerhaft verloren. Unterstützungsnetzwerke für junge Menschen und Familien brechen weg.

Die zunehmende Dysbalance zwischen kommunalen Haushalten und den gestiegenen Aufgaben der Kommunen und des Landes und dem damit einhergehenden verstärkten Rückzug aus den Pflichtleistungen des SGB VIII §§ 11-14 (Jugend- und Jugendverbandsarbeit, Mobile Jugendarbeit, Jugend- und Schulsozialarbeit sowie erzieherischer Kinder- und Jugendschutz) verursacht erfahrungsgemäß einen Anstieg intervenierender Maßnahmen so z.B. der Inanspruchnahme von Leistungen der stationären und ambulanten Kinder- und Jugendhilfe, wie es zuletzt im Nachgang der Einrichtungsschließungen in der Pandemie festzustellen war. Kürzungen und Schließungen führen somit nicht nur zu einer Reduzierung in der Angebotsbreite des SGB VIII, sondern auch zu einem Anstieg der Gesamtkosten für die Jugendhilfe durch vermehrte Inanspruchnahme ambulanter und stationärer Leistungen.

Wie weiter?

Zur finanziellen Absicherung und damit der Arbeitsfähigkeit der örtlichen und überörtlichen Träger braucht es umgehende Lösungen für die nachfolgend beschriebenen Herausforderungen.

Überörtliche Ebene:

  • Fördergegenstände mit Verpflichtungsermächtigungen (VE): Die Bewirtschaftungs-befugnis der Mittel muss mit Beginn 2025 gegeben sein, um den Trägern Mittel ab Januar auszahlen zu können.
  • Fördergegenstände ohne VE: Es sind umgehend verbindliche Aussagen zur Umsetzung oder ggf. Abwicklung von Vorhaben sowie ein Verfahren zu deren finanzieller Untersetzung nötig, da es sich nicht um zusätzliche Projekte handelt, sondern auch hier bewährte, teils durch langjährige Vereinbarungen entstandene Strukturen betrifft.

Örtliche Ebene:

  • Für die kommunale Ebene und die Ausreichung der Jugendpauschale ist es von besonderer Bedeutung, dass es eine verlässliche Zusicherung des Gesamtbetrages in Höhe von mindestens 15 Mio. EURO gibt – unabhängig davon, dass zunächst das erste Halbjahr 2025 gesichert ist. Die prognostizierte Auszahlung der VE in Höhe von 50 % wird bei Ausbleiben einer verlässlichen Anschlussfinanzierung für das zweite Halbjahr dazu führen, dass die örtlich öffentlichen Träger ebenfalls nur einen Teilbetrag des eigenen Anteils ausreichen und damit ein z.T. existenzgefährdendes Finanzierungsdefizit an die freien Träger weiterreichen.

Für alle Ebenen:

  • Es ist notwendig, mit der Einigung über das Prozedere der angekündigten vorläufigen Haushaltsführung die Träger über die entsprechenden Verfahren und finanziellen Auswirkungen schnellstmöglich zu informieren und so ggf. zum Handeln zu befähigen. Hierzu braucht es verbindliche Festlegungen bis zur endgültigen Bescheidung für das Jahr 2025 – idealerweise in Absprache mit den Trägern.

Die Erfahrungen des Jahres 2010 haben gezeigt, dass Kürzungen und Einschnitte unmittelbare Auswirkungen auf gesetzlich verbriefte Rechte und Leistungen gemäß dem Achten Sozialgesetzbuch für Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben. Eine weitere Schwächung kommunaler und landesweiter Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit, wie sie durch die aktuelle, unsichere Haushaltssituation zu erwarten ist, fördert antidemokratische Bestrebungen weiter und schadet unserer Gesellschaft.

Die skizzierten Entwicklungen gilt es zu verhindern, einerseits durch umgehende Klarheit und Transparenz zur Haushaltsgestaltung für 2025. Andererseits erwarten wir generell tragfähige Konzepte und Angebote für die kommenden Haushaltsjahre. Als Gesprächspartner stehen wir Ihnen als Forum Jugendarbeit gern mit unseren Erfahrungen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

im Namen des Forum Jugendarbeit

Dr.in Nina Stoffers
LV Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) Sachsen e.V.

Christian Päutz
KINDERVEREINIGUNG Sachsen e.V.


[1] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2024), Zuversicht braucht Vertrauen – Die Lage der jungen Generation und die Situation der Kinder- und Jugendhilfe, S. 5

[2] Weil es ums Ganze geht: Demokratie durch Teilhabe verwirklichen! Vgl. https://www.jugendhilfetag.de/

Forum Jugendarbeit Sachsen:
Aktion Jugendschutz Sachsen e.V.
Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten e.V.
Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Sachsen e.V.
Kinder- und Jugendring Sachsen e.V.
Kindervereinigung Sachsen e.V.
LAG „Freier Träger der Jugendsozialarbeit“ Sachsen e.V.
LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V.
LAG Mädchen und junge Frauen in Sachsen e.V.
LAG Schulsozialarbeit Sachsen e.V.
LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V.
Landesverband KiEZ Sachsen e.V.
Landesverband Sächsischer Jugendbildungswerke e.V.
Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen e.V.
Sächsische Jugendstiftung
Sächsische Landjugend e.V.
Landesverband Soziokultur Sachsen e.V.