Positionspapier: Mobile Jugendarbeit und Streetwork tarifgerecht eingruppieren
Im Zuge der Tarifverhandlungsrunde zum Sozial- und Erziehungsdienst im Jahr 2022 begründete die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Streetwork/ Mobile Jugendarbeit e. V. ihre Forderung nach einer Nennung und Eingruppierung von Streetworker*innen in die Entgeltgruppe S 15[1]. Notwendig sei dies, da es sich bei den Tätigkeiten in den Arbeitsfeldern Mobile Jugendarbeit und Streetwork um eine heraushebende Arbeit handele, die durch besonders schwierige Tätigkeiten und besondere Bedeutung für die Gesellschaft gekennzeichnet sei. Auch wenn diese Forderung in den Verhandlungen nicht durchgesetzt werden konnte, bleibt zu prüfen, inwiefern die Tätigkeiten von Streetworker*innen in der Entgeltgruppe S 15 gefasst sein können, wenn sich ihre Tätigkeit mindestens zu einem Drittel durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe S 12 heraushebt (S. 15, Nr. 6).
Im Gegensatz zu diesen Überlegungen steht die Förderpraxis vieler Jugendämter in Sachsen, die Tätigkeiten in der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork lediglich in der Entgeltgruppe S 11b, in Einzelfällen sogar in der Entgeltgruppe S 11a zu finanzieren. Als Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V. möchten wir mit diesem Schreiben unsere Mitglieder und alle Träger von Projekten der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork ermutigen und auffordern, sich für eine Höhergruppierung ihrer Mitarbeitenden einzusetzen, analog unseren fachlichen Standards[2] mindestens in die Entgeltgruppe S 12, gegebenenfalls mit Prüfung einer Eingruppierung in S 15.
Werden die Eingruppierungsmerkmale der Entgeltgruppe S 12 mit den Tätigkeiten von Streetworker*innen abgeglichen, bleibt eine Eingruppierung unterhalb dieser Entgeltgruppe unverständlich. Als Merkmale werden in der durchgeschriebenen Fassung des Tarifvertrags und der zugehörigen Protokollerklärung aufgeführt:
Entgeltgruppe S 12
Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung sowie Heilpädagoginnen/Heilpädagogen mit abgeschlossener Hochschulbildung und – soweit nach dem jeweiligen Landesrecht vorgesehen – mit staatlicher Anerkennung mit jeweils entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit schwierigen Tätigkeiten.[3]
Die zugehörige Protokollerklärung erläutert zum Begriff der schwierigen Tätigkeiten:
Schwierige Tätigkeiten sind z. B. die
- Beratung von Suchtmittel-Abhängigen,
- begleitende Fürsorge für Heimbewohnerinnen/Heimbewohner und nachgehende Fürsorge für ehemalige Heimbewohnerinnen/Heimbewohner,
- begleitende Fürsorge für Strafgefangene und nachgehende Fürsorge für ehemalige Strafgefangene,
- Koordinierung der Arbeiten mehrerer Beschäftigter mindestens der Entgeltgruppe S 9,
- Tätigkeiten in der Unterstützung/Assistenz von behinderten Menschen im Sinne des § 2 SGB IX, bei denen in mindestens vier der neun Lebensbereiche im Sinne von § 118 SGB IX nicht nur vorübergehende Beeinträchtigungen der Aktivität und Teilhabe vorliegen,
- Tätigkeiten in der Schulsozialarbeit,
- Tätigkeiten in der Unterstützung/Assistenz von Menschen mit multiplen psychosozialen Beeinträchtigungen[4]
Die Tätigkeiten von Streetworker*innen in Sachsen sind erstens gekennzeichnet von einer herausgehobenen gesellschaftlichen Bedeutung. Im Zuge der Corona-Pandemie kamen die Forderungen nach der Aufrechterhaltung der Angebote und die Betonung ihrer Systemrelevanz auf. Innerhalb der Praxis waren die Mobile Jugendarbeit und Streetwork oftmals die einzig verbleibenden Angebote lebensweltnaher Unterstützung, welche Beratung, Begleitung und die Grundversorgung für die Adressat*innen ermöglichten. Zusätzlich wurde durch die Fachkräfte der zeitweilige Wegfall weiterführender Angebote kompensiert.
Doch auch außerhalb einer pandemischen Lage sind die Fachkräfte oft die letztverbleibende Instanz im Hilfenetz. Sie stehen ihren jeweiligen Adressat*innen in schwierigsten und komplexen Lebenssituationen als feste Ansprechpersonen zur Verfügung. Somit werden Menschen, die als „schwer erreichbar“ und „gesellschaftlich marginalisiert bzw. ausgegrenzt“ gelten und von vorhandenen Unterstützungs- und Hilfssystemen und deren Angeboten nicht erreicht werden oder auch nicht erreicht werden wollen, überhaupt erst durch die Angebote Mobiler Jugendarbeit und Streetwork angetroffen. Ein Teil der Adressat*innen befinden sich permanent im Grenzbereich des Aushaltbaren. Oftmals erleben diese Menschen die Fachkräfte der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork als einzige Personen in ihrem Umfeld, die sich anhaltend und prozesshaft in diesen Grenzbereich mit hineinbegeben und damit Veränderungen der Lebenssituationen ermöglichen.
Die Tätigkeiten von Streetworker*innen in Sachsen sind zweitens gekennzeichnet von besonders risikobehafteten Arbeitssituationen, was zwingend als schwierige Tätigkeit einzuordnen ist. Dies wird durch die nicht abschließende Liste der Protokollerklärung ermöglicht. Die Arbeitssituationen sind geprägt von der ungeschützten Tätigkeit in öffentlichen und halböffentlichen Räumen. Diese stehen deutlich im Gegensatz zu den meisten sozialarbeiterischen Angeboten, welche in den eigenen Räumlichkeiten aktiv sein und hierdurch per se höhere Schutzmöglichkeiten der Mitarbeitenden gewährleisten können. Das Aufsuchen verlassener, schlecht einsehbarer Orte auch in der Dunkelheit und das Hineinbegeben in riskante Situationen, weil nicht abschätzbar ist, wie das konkrete Gefährdungspotenzial einzuordnen ist, (Kontaktaufnahme von Großgruppen, Menschen unter Alkohol- oder sonstigem Drogeneinfluss, unklares Gewaltpotenzial in konfliktbehafteten Situationen etc.) verdeutlichen die Besonderheit risikobehafteter Arbeitssituationen, denen die Streetworker*innen in Sachsen alltäglich ausgesetzt sind. Die Fachkräfte arbeiten dabei an Orten und in Situationen, in denen die Polizei nur in Schutzausrüstung und Mannschaftsstärke aktiv werden würde. Von besonderer, herauszuhebender Bedeutung sind diese alltäglichen Arbeitssituationen noch einmal für Fachkräfte, welche allein arbeiten müssen und auch aufsuchend nicht auf ein Team zurückgreifen können. Dieser Umstand ist in Sachsen leider weit verbreitet und sollte in der Frage der Bewertung der Tätigkeiten berücksichtigt werden.
Die Tätigkeiten von Streetworker*innen in Sachsen sind drittens gekennzeichnet von konkreten, in der Protokollerklärung benannten Merkmalen: der Beratung von Suchtmittel-Abhängigen, der Arbeit mit Menschen, welche in Heimen, Inobhutnahmestellen, Wohngruppen und außerhalb der eigenen Familie untergebracht sind oder waren, der begleitenden Fürsorge von Strafgefangenen oder ehemaligen Strafgefangenen und der Unterstützung, Beratung und Begleitung von Menschen mit multiplen psychosozialen Beeinträchtigungen. Hinzu kommt, dass bei Adressat*innen Mobiler Jugendarbeit und Streetwork oftmals mehrere der aufgeführten Aspekte festzustellen sind und diese nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Diese Tätigkeiten, in der Protokollerklärung konkret benannt als „schwierige Tätigkeiten“, stellen alltägliche Arbeitssituationen für die Fachkräfte dar und sind somit überwiegender Bestandteil ihrer Tätigkeiten.
Für die Förderpraxis in Sachsen fordert der LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen daher im Sinne einer finanziellen Anerkennung der Tätigkeiten der Streetworker*innen, die Berücksichtigung der besonders schwierigen Tätigkeiten in Verbindung mit der Arbeit in risikobehafteten Situationen und des herausgehobenen gesellschaftlichen Interesses sowie vor dem Hintergrund des bereits deutlich spürbaren Fachkräftemangels, die Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 12, gegebenenfalls und nach Prüfung der Tätigkeiten vor Ort in die Entgeltgruppe S 15. Im Falle einer Umgruppierung ist die von der Fachkraft erreichte Stufe der niedrigeren Entgeltgruppe in die höhere Entgeltgruppe zu übertragen.
Die Träger der Projekte Mobiler Jugendarbeit und Streetwork fordert der LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen auf, ihrer Verantwortung für ihre Mitarbeitenden gerecht zu werden und sich aktiv für eine Höher- und angemessene Eingruppierung einzusetzen, dies in der Antragsstellung zu berücksichtigen und in Trägergesprächen mit dem öffentlichen Träger zu thematisieren und einzufordern.
Den Streetworker*innen in Sachsen legen wir nahe, sich gewerkschaftlich zu organisieren und auch dort Beratungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, um eine Höhergruppierungsmöglichkeit im Einzelfall prüfen zu lassen. Hier verweisen wir auch noch einmal auf das Info-Schreiben der BAG Streetwork/ Mobile Jugendarbeit aus dem Februar 2023[5], in dem mögliche Schritte konkretisiert werden.
Mobile Jugendarbeit und Streetwork sind mehr wert!
Chemnitz, 14.06.2023
Der Vorstand des LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V.
Kontakt: lak@mja-sachsen.de
Positionspapier im PDF-Format: https://www.mja-sachsen.de/lak-positionspapier-eingruppierung-2023/
[1] BAG Streetwork/ Mobile Jugendarbeit e. V. (2021): Streetwork & Mobile Jugendarbeit stärken & aufwerten.
[2] LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V. (2020): Fachliche Standards für Mobile Jugendarbeit/ Streetwork in Sachsen.
[3] Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände: Durchgeschriebene Fassung des TVöD für den Bereich Verwaltung. S. 138
[4] Ebd. S. 145
[5] BAG Streetwork/ Mobile Jugendarbeit e. V. (2023): Streetwork / Mobile Jugendarbeit ist mehr WERT! Für eine Eingruppierung in S15!