Stellungnahme zur erneuten Schließung von Angeboten der Jugend(sozial)arbeit

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Mit Verwunderung nahm der Landesarbeitskreis (LAK) Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. zur Kenntnis, dass die Träger der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in mehreren sächsischen Landkreisen gezwungen seien, ihre Angebote aufgrund der geltenden Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung in Verbindung mit den jeweils erlassenen Allgemeinverfügungen in den Landkreisen zu schließen. Diese Auffassung wurde den Trägern in Schreiben mitgeteilt, welche explizit keine Bescheide darstellten und worin auch keine konkrete Rechtsgrundlage zur Begründung der von den Landkreisen vertretenen Auffassung angeführt wurde.

Neben einem, nach Meinung der Landkreise, geltenden Verbot von persönlichem Kontakt zwischen Fachkräften und jungen Menschen in oder außerhalb von Einrichtungen, wurde des Weiteren die Entscheidung der Landkreise mitgeteilt, dass die Einrichtungen nur noch 25% ihrer Kapazität vorzuhalten hätten. Auch hierfür wird keine rechtliche Grundlage benannt. Dem entgegen steht jedoch in den Schreiben der Hinweis auf die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von Kontakten zu jungen Menschen und ihrer Familien, gerade in dieser krisenhaften Zeit.

Der LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. möchte diese Notwendigkeit ausdrücklich unterstützen. In verschiedenen Studien[1], Befragungen[2] und Praxisberichten[3] wurde mittlerweile auf die Gefahr von Kontaktabbrüchen verwiesen. Gerade jetzt sind die Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit unabdingbar. Träger und Fachkräfte sind sich ihrer hohen Verantwortung bewusst sind und halten gute und geeignete Hygienekonzepte vor, halten Abstände ein und tragen Mund-Nasen-Bedeckung, da wo es erforderlich ist.

Nach Auffassung des Fachverbandes für Mobile Jugendarbeit/Streetwork, gibt es neben dem dringenden fachlichen Bedarf weiterhin Angebote vorzuhalten, keinerlei Grundlage für die hier gewünschte Schließung dieser. Die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung weist gleich an mehreren Stellen auf Ausnahmen hin, die auch die Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit betreffen. So wird die Kontaktbeschränkung und Abstandsregelung nach § 2, Abs. 1 in Abs. 5 für Angebote und Stellen außer Kraft gesetzt, welche „öffentliche Aufgaben wahrnehmen, und Maßnahmen, die der Versorgung oder der Gesundheitsfürsorge der Bevölkerung dienen […]“. Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit fallen unter beide Aspekte, sie sind ausführende Träger öffentlicher Aufgaben und sie dienen der Versorgung der Bevölkerung im Bereich der sozialen Fürsorge. Weiterhin gilt § 4, Abs. 1, Satz 14, nachdem Angebote der Kinder- und Jugendhilfe mit pädagogischer Betreuung ausdrücklich von Schließungen ausgenommen sind.

Die in den betroffenen Landkreisen notwendig gewordenen verschärften Maßnahmen durch eine mehrtägige Überschreitung des Inzidenzwertes von 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner*innen innerhalb von sieben Tagen begründet auch nicht die Schließung der nun betroffenen Angebote. Triftige Gründe zum Verlassen der häuslichen Unterkunft sind die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, womit die Tätigkeiten der hier betroffenen Fachkräfte bereits pauschal abgedeckt sind. Des Weiteren ist die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen eindeutig als triftiger Grund aufgeführt, welcher es Fachkräften erlaubt, weiterhin auch im persönlichen Kontakt mit ihren Adressat*innen zu stehen. Eine dem § 4, Abs. 1, Satz 14 (SächsCoronaSchVO) entgegenstehende Verfügung ist nicht in den Allgemeinverfügungen der jeweiligen Landkreise enthalten.

Unabhängig von Möglichkeiten der Kontakte in Einrichtungen oder im öffentlichen Raum haben Fachkräfte der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in den letzten Monaten Möglichkeiten geschaffen, digital mit jungen Menschen in Kontakt zu bleiben und, auch wenn Kontakte im analogen Raum hierdurch nicht ersetzt werden können, zumindest weiterhin für Anliegen, Sorgen und Nöte der jungen Menschen ansprechbar und erlebbar zu sein. Eine Begrenzung der Arbeitskapazität auf 25% erschließt sich hieraus nicht, zumal alle administrativen Tätigkeiten und Tätigkeiten der Qualitätssicherung weiterhin zu leisten sind und geleistet werden.

Der zweite Teil der versendeten Schreiben an die Träger befasst sich mit der Notwendigkeit der personellen Absicherung in anderen Sozialen Bereichen. Einen sicherlich sinnvollen Aufruf zu tätigen – in einer Krise, Personal abzustellen, sofern es nicht dringend in der originären Einrichtung benötigt wird – ist nachvollziehbar und unter dem Gesichtspunkt einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung von den jeweiligen Trägern zu bewerten. Dies jedoch direkt in Verbindung zu bringen mit Förderentscheidungen für die Jahre 2020 und 2021, wie es in den jeweiligen Schreiben aufgeführt wird, zeugt von einer Haltung gegenüber den freien Trägern, welche aufs Schärfste zurückzuweisen ist. Die freien Träger haben einen gesetzlichen Auftrag zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (SGB VIII, § 3, hier in Verbindung mit §§ 11-14, 16), diesen Auftrag zu erfüllen ist ihre Pflicht. Abweichungen hiervon bedürfen einer konkreten rechtlichen Grundlage und Prüfung. Freie Träger sollten sich daher rechtlich absichern, dass die geforderten Maßnahmen zulässig und verhältnismäßig sind, um nicht der Erfüllung ihrer originären Aufgaben entgegenzuwirken. Weiterhin ist dringend anzuraten, eine etwaige Abstellung von Personal unbedingt in einer schriftlichen Vereinbarung mit dem öffentlichen Träger in ihrer Dauer zu begrenzen, Fragen der Weisungsbefugnis und der arbeitsschutzrechtlichen Absicherung im Vorfeld zu klären.

Das Vorgehen der jeweiligen Jugendämter/ öffentlichen Träger wird dazu führen, langfristig aufgebaute und für die pädagogische Arbeit unabdingbare Beziehungsstrukturen zu kappen, junge Menschen in einer Krisensituation nicht mehr adäquat zu unterstützen und zu begleiten und nimmt den jungen Menschen ihr Recht auf Förderung ihrer individuellen und sozialen Entwicklung und ihr Recht auf Leistungen der Jugendhilfe, welche dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Im Gegenteil, Benachteiligungserfahrungen werden durch die Schließung von Angeboten zunehmen und langfristig erhalten bleiben.

Der LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. regt hiermit an, zusammen mit den Trägern der Angebote mögliche Lösungswege zu suchen, die einerseits das Pandemiegeschehen nicht weiter negativ beeinflussen und andererseits die dringend notwendigen Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit für junge Menschen vorhalten, ohne Druck auf die Träger mit einem möglichen Fördermittelentzug aufzubauen. Die Fachkräfte haben Ideen und Lösungen und sind, anders als im Frühjahr auf die Bedingungen besser vorbereitet. In einer gemeinsamen, solidarischen und verantwortungsvollen Lösung kann auch mit der derzeitigen Situation umgegangen werden.

Chemnitz, den 03.12.2020

Georg Grohmann           Simone Stüber
Bildungsreferent            Geschäftsführende Bildungsreferentin
für den Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V.

[1] Vgl. Klundt, Michael: Krisengerechte Kinder statt kindergerechtem Krisenmanagement. Auswirkungen der Corona-Krise auf die Lebensbedingungen junger Menschen, 2020

[2] Vgl. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V., Landesverband Sachsen: Positionspapier. Jugendarbeit in Sachsen zukunftsfähig gestalten, 2020

[3] Vgl. die Sachverständigenanhörungen in der Kinderkommission des Bundestages https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw38-pa-kinderkommission-710888 & https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw41-pa-kinderkommission-793922