Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter*innen – JETZT!

Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/ Mobile Jugendarbeit e.V. zur Vorladung des Fanprojekts Karlsruhe

Seit geraumer Zeit ist ein Anstieg an polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Versuchen zu konstatieren, sozialarbeiterische Kenntnisse für Ermittlungsverfahren zu gewinnen. Aktuell sind die Mitarbeiter*innen des Fanprojektes Karlsruhe mit Vorladungen der Karlsruher Staatsanwaltschaft konfrontiert[1]. Möglich wird dies, da es kein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter*innen gibt. Die Folgen für die Mitarbeiter*innen und den Träger, den Stadtjugendausschuss e.V. sind enorm und reichen zudem weit über die Arbeit von Fanprojekten hinaus.

Das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht fordert in einer aktuellen Stellungnahme[2], dass der § 53 in der Strafprozessordnung endlich reformiert und das besondere Vertrauensverhältnis in der Sozialen Arbeit entsprechend anerkannt und geschützt wird. Sozialarbeiter*innen sind in die Gruppe der Berufsgeheimnisträger*innen des § 53 StPO aufzunehmen.

Soziale Arbeit ist in vielen Handlungsfeldern nur wirksam, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen Fachkraft und hilfesuchender oder das jeweilige Angebot nutzende Person aufgebaut werden kann. Im Kontext der aufsuchenden Arbeit, egal ob in Stadien und mit Fußballfans oder in der Streetwork und Mobilen Jugendarbeit sind Vertrauensschutz und Verschwiegenheit grundlegende Voraussetzungen, um überhaupt mit den jeweiligen Zielgruppen in Kontakt zu kommen und stabile Beziehungen aufzubauen. Dies und die Zusage anwaltschaftlich und parteilich für die Rechte der Zielgruppen einzutreten, prägen die professionelle Rolle von Streetworker*innen und damit die Arbeitsgrundlage zu den Menschen, mit denen sie arbeiten.

Das nun, wie in Karlsruhe zur Zeit nachverfolgbar, strafprozessuale Ermittlungen mit sozialarbeiterischer Arbeit kollidieren ist nicht neu, sondern führt nur wieder einmal die juristischen Gegebenheiten, das Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter*innen, vor Augen. Deutlich nachzeichnen lassen sich hier jedoch die Konsequenzen:

Erteilen die Sozialarbeiter*innen des Fanprojekts Auskunft über die vertrauliche Arbeit mit ihrer Zielgruppe wird das eine nachhaltige Schädigung ihrer professionellen Beziehung zur Folge haben und damit eine existenzielle Bedrohung der Fanprojektarbeit, wie der Stadtjugendausschuss e.V. einschätzt[3].

Verweigern die Sozialarbeiter*innen des Fanprojekts die Auskunft, so riskieren sie persönlich Zwangsmaßnahmen wie Ordnungsgelder und Beugehaft, die derzeit weiterhin im Raum stehen.

Diesem unlösbaren Widerspruch sehen sich nun aktuell drei Sozialarbeiter*innen gegenüber. Im Kern tragen jedoch alle Sozialarbeiter*innen dieses Dilemma in sich und richten, bewusst oder unbewusst, ihre Arbeit danach aus. Indem sie in Beratungsprozessen zu strafrechtlich relevanten Themen nicht ins Detail gehen, um heikles Wissen zu vermeiden. Indem sie Situationen meiden, in denen sie möglicherweise Zeug*in von Straftaten im Kontext ihrer Arbeit werden könnten. In der Konsequenz führt beides dazu, dass Soziale Arbeit ihrem gesellschaftlichen Auftrag nur eingeschränkt nachkommen kann und damit weniger wirksam ist.

Das Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter*innen ist fachlich eine Katastrophe und für Fachkräfte persönlich ein allein nicht zu bewältigendes Risiko!

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/ Mobile Jugendarbeit solidarisiert sich mit den betroffenen Mitarbeiter*innen des Fanprojektes Karlsruhe und ruft alle Streetworker*innen dazu auf, die Kolleg*innen durch das Herstellen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu unterstützen!

Die aktuelle Koalition aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP fordern wir auf, im Zuge der Novellierung der Strafprozessordnung den § 53 StPO dahingehend zu reformieren, dass Sozialarbeiter*innen in den Kreis der Personengruppen mit Recht auf eine Zeugnisverweigerung aufgenommen werden. Und zwar jetzt!

Berlin, den 22.05.2023
Geschäftsführender Vorstand der BAG Streetwork/ Mobile Jugendarbeit e.V.

Kontakt:

Georg Grohmann
1. Vorsitzender
01577 1418265
grohmann@bag-streetwork.de

Christiane Bollig
2. Vorsitzende
01573 1799107
bollig@bag-streetwork.de

[1] Mehr Informationen über den aktuellen Vorfall unter https://www.deutschlandfunk.de/fussball-fanprojekte-zeugnisverweigerungsrecht-100.html (Beitrag vom 06.05.2023) sowie https://taz.de/Prozess-um-Pyrotechnik-mit-Verletzten/!5935381/ (Beitrag vom 19.05.2023)

[2] https://www.zeugnis-verweigern.de/2023/05/15/fast-im-knast-stellungnahme/

[3] https://www.fanprojekt-karlsruhe.de/stellungnahme-des-stadtjugendausschusses-zur-vorladung-der-fanprojektmitarbeitenden

Die Stellungnahme kann als PDF hier heruntergeladen werden.